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Interview von Botschafter Dmitrij Ljubinskij den Salzburger Nachrichten

Interview von Botschafter Dmitrij Ljubinskij der Tiroler Tageszeitung
Mit der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden begann auch eine neue Ära in den Beziehungen zwischen den USA und Russland. Welche Hoffnungen und welche Befürchtungen gibt es von Seiten Moskaus?
Dmitrij Ljubinskij: Ich würde mit der Bezeichnung „neue Ära“ in Verbindung mit der Amtseinführung des 46. US-Präsidenten sehr vorsichtig umgehen. Nicht nur in Bezug auf die künftigen Beziehungen der USA mit Russland. Wir sind für den Dialog mit jeder Administration in Washington völlig offen. Dies hat auch Präsident Putin in seinem Gratulationsschreiben an Joe Biden bekräftigt. Als zwei Staaten mit den weltweit größten Kernwaffenarsenalen tragen Russland und die USA eine besondere Verantwortung und sogar Verpflichtung für Sicherheit und Stabilität in dieser Welt. Zusammen können wir tatkräftig zur Beilegung vieler globaler Krisen beitragen, gemeinsame Herausforderungen mit vereinten Kräften meistern – von Klimawandel und Terrorismusbekämpfung über die Bewältigung der Corona-Pandemie bis hin zur Rüstungskontrolle. Unsere Vorschläge zu diesen Themen liegen auf dem Tisch. Apropos Rüstungskontrolle. Präsident Joe Biden ist selbst ein Experte in dieser Frage. Hoffentlich umgibt er sich in seinem Team mit mehr Profis als Aufwieglern. Was wir immer sagen: Unser Dialog muss gleichberechtigt und vom gegenseitigen Respekt geprägt sein. Davon sind wir im Moment leider weit entfernt. Es gab in den vergangenen Wochen genügend Hinweise – Interviews, Analysen auch westlicher Think-Tanks –, dass auch mit der neuen Administration in Washington die Politik der Durchsetzung der US-amerikanischen Vorherrschaft ohne jegliche Rücksicht auf grundlegende Interessen anderer Länder, darunter auch Partner-Staaten, fortgesetzt wird. Die Eindämmung Russlands und Chinas war und bleibt leider ein integraler Teil der Denkweise des US-Establishments und folgend auch der US-Außenpolitik. Wir erwarten also keine maßgeblichen substantiellen Veränderungen. Aber lassen wir uns von Joe Biden positiv überraschen.
Die Beziehungen zu Europa – insbesondere auch jene zu Deutschland – sind durch den Fall Nawalny schwer belastet.
Ljubinskij: Die Russische Föderation bemüht sich ernsthaft, den Dialog und die Zusammenarbeit mit der EU maximal konstruktiv zu gestalten. Am Verhandlungstisch, wenn gegenseitige Einwände bestehen, aber nicht durch Megafon-Diplomatie oder Schlagzeilen-Politik. Wir waren von Anfang an dazu bereit, auch im Fall um Alexej Nawalny. Jedenfalls haben wir auch in anderen Fällen nie konkrete Beweise gesehen, die unbegründete bzw. erfundene Vorwürfe belegen würden. Die Anschuldigungen beruhen auf keinen Fakten. Russland ist stets daran interessiert, alle möglichen Probleme durch Dialog zu lösen. Aber wir finden es unwürdig, gegen eine geschlossene Tür anzurennen. Es gibt viele gemeinsame Themen an denen wir anknüpfen können: Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit, Klimawandel, Gleichberechtigung und Flüchtlingskrise, Konfliktvermeidung oder der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Corona-Krise. Die Wahl liegt aber nicht bei uns, die EU muss sich prinzipiell entscheiden.
Kreml-Kritiker Nawalny wurde nach seiner Rückkehr nach Russland festgenommen und sitzt nun in Haft. Wie wird Moskau weiter mit ihm umgehen? Die EU fordert die sofortige Freilassung Nawalnys.
Ljubinskij: Das liegt allein in den Händen der Justiz. Der Fall Nawalny hat keine außenpolitische Dimension. Wir dulden in dieser Angelegenheit keine Einmischung des Auslandes. Noch vor einem halben Jahr wurde die Frage gestellt, wer Nawalny überhaupt ist. Ja, er hat eine Anhängerschaft in Russland, aber viel bedeutender scheint er dem Westen. Nun wird der Fall politisch hochgespielt. Das darf nicht die Grundlagen unserer Beziehungen untergraben.
Nawalny wurde nach Erkenntnissen der deutschen Regierung im August in Russland mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Gibt es dazu auch Untersuchungen in Russland?
Ljubinskij: Vor seinem Aufenthalt in der Berliner Charité haben die Ärzte in Omsk keine Spuren einer Vergiftung festgestellt. Das wurde uns erst aus Berlin mit Hinweisen auf Militärlabors mitgeteilt, Beweise wurden uns freilich keine vorgelegt. Man hat uns überhaupt keine Unterlagen zum Fall Nawalny zukommen lassen, auch auf mehrere Rechtshilfeersuchen nicht.
In der EU werden Rufe nach neuen Sanktionen gegen Russland lauter.
Ljubinskij: Wie gesagt, unsere europäischen Partner müssen sich entscheiden. Das mit den Sanktionen kann keine unendliche Geschichte werden. Die Spielregeln sind klar.
Was sagen Sie zu der Behauptung Nawalnys, Präsident Putin habe sich einen Palast am Schwarzen Meer bauen lassen.
Ljubinskij: Es gibt jede Menge völlig unsinniger Behauptungen.
Zu einem anderen Konfliktherd. Der Krieg in der Ukraine ist immer noch nicht beendet. Gibt es neue Konfrontationen oder die Hoffnung auf Stabilisierung?
Ljubinskij: Am 12. Februar werden bereits sechs Jahre seit der Verabschiedung der Minsker Abkommen vergangen sein. Dieses Dokument war dazu berufen, dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine, der nach dem Staatsstreich in Kiew 2014 entflammt war, ein Ende zu setzen. Dem Beilegungsprozess steht leider die aggressive Rhetorik der ukrainischen Machthaber im Wege, die nicht wirklich an der Verwirklichung der Minsker Verpflichtungen interessiert zu sein scheinen. Präsident Selenskij spricht offen darüber, dass die Ukraine die Minsker Abkommen nur dazu braucht, um den Sanktionsdruck gegen Russland aufrechtzuerhalten. Die Weigerung Kiews gemäß der vorhandenen Vereinbarungen zu handeln führte den Gesprächsprozess de facto in eine Sackgasse. Bei der Arbeit der „Normandie-Vier“ (Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich) konnten freilich einige Fortschritte erzielt werden. Der weitere Fortschritt auf diesem Weg wird entscheidend von der Ukraine abhängen. Die Experten sehen, dass die seit Juli 2020 geltende Waffenruhe an der Kontaktlinie größtenteils eingehalten wird. Wenn es politischen Willen und Verantwortungsbewusstsein gibt, können die Vereinbarungen effektiv umgesetzt werden. Es gibt keinen anderen Weg.
Russland ist auch in Syrien involviert. Kann das vom Bürgerkrieg völlig zerstörte Land aus den Trümmern überhaupt jemals wieder auferstehen?
Ljubinskij: Ich bin da durchaus zuversichtlich. Jetzt, wo die unmittelbare von der Terrormiliz IS ausgehende Gefahr abgewehrt ist, gehören die Normalisierung der Situation im Land, der Wiederaufbau und in erster Linie die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen zu den Hauptaufgaben. Russland leistet hier den größten Beitrag bei der humanitären Hilfe, dem Wiederaufbau des Leitungsnetzes, der Industrie sowie religiöser Einrichtungen für Syrien. Weitere 20 Millionen werden für humanitäre Hilfe im Rahmen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen überwiesen. Die höchste Priorität gilt der Rückkehr von Flüchtlingen. Im November 2020 fand in Damaskus die von Russland und Syrien organisierte Internationale Konferenz zur Förderung der Rückkehr von syrischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen und des Wiederaufbaus des friedlichen Lebens im Land statt. Außer Russland haben weitere 26 Länder daran teilgenommen, die UNO als Beobachter. Dass die USA und andere westliche Staaten auf die Teilnahme verzichtet haben ist äußerst bedauerlich. Der Wiederaufbau Syriens erscheint durchaus möglich, aber nur wenn die Weltgemeinschaft sich zusammentut und an einem Strang zieht. Das gehört zu unserer gemeinsamen Verantwortung.

Beitrag von Botschafter Dmitrij Ljubinskij „Reine Tatsachen“

Gastkommentar von Botschafter Dmitrij Ljubinskij im KURIER
