BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION IN DER REPUBLIK ÖSTERREICH
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Die Befreiung Wiens

Den ursprünglichen Angriffsplan in Richtung Wien legte das Sowjetische Oberkommando in der Direktive vom 17. Februar 1945 vor. Infolge der dramatisch veränderten Lage konnte dieser jedoch nicht umgesetzt werden.

Drei Tage nach Beginn der Plattensee-Verteidigungsoperation, nämlich am 9. März, präzisierte der Oberbefehlshaber die Aufgaben der beiden Fronten. Zum Unterschied vom ursprünglichen Vorhaben wurde die Hauptrolle in der bevorstehenden Angriffsoperation, welche später die Bezeichnung „Wiener“ erhielt, der 3. Ukrainischen Front zugewiesen. Sie erhielt den Befehl, spätestens am 15.-16. März ohne operative Pause aus der Verteidigung in den Angriff überzugehen und in Richtung Pápa, Sopron vorzustoßen. Am 17.-18. März sollten auch die 46. Armee und das II. Garde-mechanisierte Korps der 2. Ukrainischen Front zu aktiven Kampfhandlungen übergehen. Diese hatten die Aufgabe, mit Unterstützung der Donauflottille und der 5. Luftarmee den Angriff in Richtung Győr zu führen.

Am 30. März durchbrachen Einheiten der 6. Gardepanzerarmee rasch die Grenzbefestigungen südlich von Sopron und drangen in einem Abschnitt von zwanzig Kilometern in Österreich ein. Bereits am 4. April rückte das Gros der Haupttruppe der 3. Ukrainischen Front bis vor die Tore Wiens vor.

Durch den tiefen Vorstoß der Armeen ihres rechten Flügels in Richtung Sopron sowie der 27. und 26. Armee nach Zalaegerszeg und Szombathely war die deutsche 2. Panzerarmee, welche in der Gegend von Nagykanisza Verteidigungsstellungen bezogen hatte, vom Norden her fest eingekesselt. Ihr Kommandostab begann am 28.März mit dem Rückzug seiner Truppen, da er befürchtete, von der Verbindung mit Deutschland abgeschnitten zu werden. 

Am selben Tag erließ das Sowjetische Oberkommando eine Direktive über die Entwicklung des weiteren Angriffsplans. Es befahl der 3. Ukrainischen Front, mit den Kräften des rechten Flügels bis zum 10.-15. April Wien einzunehmen und mit den Armeen des Zentrums und des linken Flügels sich auf der Linie der Flüsse Mürz, Mur und Drau festzusetzen. Die 46. Armee sollte mit dem II. Garde-mechanisierten Korps und dem 23. Panzerkorps (von der 3 Ukrainischen Front übergeben) vom rechten Donauufer auf das linke übersetzen und die Rückzugswege für die gegnerische Wiener Gruppierung nach Norden abschneiden.

Am Rande der österreichischen Hauptstadt und in der Stadt selbst verteidigten Teile von acht Panzerdivisionen und einer Infanteriedivision, welche sich unter Kämpfen aus dem Gebiet des Plattensees zurückgezogen hatten, sowie auch bis zu fünfzehn einzelne Infanterie- und Volkssturmbataillone. Hier wurden rechtzeitig zahlreiche Verteidigungsstellungen und Pionieranlagen vorbereitet. Die deutschen Streitkräfte blockierten die Straßen mit Barrikaden und verminten Trümmern, in den Häusern richtete man Feuernester ein und in den zerstörten Gebäuden wurden sorgfältig getarnte Panzer und Geschütze untergebracht, welche für den direkten Beschuss gedacht waren. Alle Donaubrücken wurden zur Sprengung vorbereitet.

Der Marschall der Sowjetunion, Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin, entschloss sich für die Einnahme Wiens zu einigen gleichzeitigen Schlägen aus verschiedenen Richtungen: vom Südosten mit Kräften der 4. Gardearmee und des I. Garde-mechanisierten Korps (85 funktionstüchtige Panzer und Selbstfahrlafetten); vom Süden, Westen und Nordwesten mit Kräften der 6. Gardepanzerarmee und der 9. Gardearmee, wofür diese die Stadt über die östlichen Alpenausläufer umgehen mussten.

Die Kämpfe am unmittelbaren Stadtrand von Wien begannen am 5. April. Aber im Laufe des ganzen Tags konnten die Schützeneinheiten den Feind nur geringfügig zurückdrängen. Dieser verhinderte unter Nutzung der zahlreichen für die Verteidigung vorbereiteten Wasserhindernisse und der Ortschaften, welche die Panzermanöver stark behinderten, den Durchbruch der Angriffsgruppierung in die Stadt. Dieses Ergebnis konnte erst am Abend des nächsten Tages erreicht werden, als Einheiten der 4. und Teile der 9. Gardearmee mit Unterstützung des I. Garde-mechanisierten Korps von Generalleutnant Iwan Russijanow zum südlichen und westlichen Stadtrand Wiens vordrangen und Straßenkämpfe aufnahmen.

Gleichzeitig vollzogen die 6. Gardearmee und zwei Schützenkorps der 9. Gardearmee ihre Operation über die östlichen Alpenausläufer, drangen in die Gegend bis westlich von Wien vor und schnitten dem Gegner den Rückzugsweg ab. Vom 7. bis 9. April kämpften die sowjetischen Streitkräfte um jedes Viertel und um jedes einzelne Haus, wobei sie massiv Sturmtrupps einsetzten, denen Schützeneinheiten, Panzer, Selbstfahrlafetten, Begleitgeschütze und Pioniere angehörten. Die Kampfhandlungen dauerten auch nachts an, wofür von den Divisionen verstärkte Schützenbataillons zur Verfügung gestellt wurden. Am 10. April nahmen Teile der 4. Gardearmee zentrale Bezirke Wiens ein und warfen den Widerstand leistenden Feind über den Donaukanal zurück.

Dieser Kanal stellte ein ernsthaftes künstliches Hindernis dar. Seine Tiefe erreichte drei Meter und die Breite betrug 40-60 Meter. Die senkrechten, mit Granit ausgelegten Ufer mit einer Höhe von 6-7 Metern erschwerten seine Überwindung extrem. Darüber hinaus zerstörten deutsche Einheiten beim Rückzug alle Übergänge und öffneten die Schleusen. In den steinernen Gebäuden entlang des Kanals richteten sie Feuernester und Beobachtungspunkte ein, was ihnen eine Kontrolle sämtlicher Zugänge zur vordersten Linie ermöglichte. 

Nur die Heranführung des I. Garde-mechanisierten Korps brachte die Wende. Unter Nutzung des Feuers aus Panzergeschützen konnten Schützeneinheiten der 4. Gardearmee in der Nacht auf den 11. April den Donaukanal überwinden und in Richtung Eisenbahnbrücke vordringen. Am 13. April um etwa 14:00, also am siebten Kampftag, vollendeten Einheiten der 3. Ukrainischen Front die Vernichtung der Garnison Wien und nahmen die Hauptstadt Österreichs vollständig ein. Zwei Tage später rückten die 46. Armee, das 23. Panzerkorps und das II. Garde-mechanisierten Korps der 2. Ukrainischen Front nach dem Übersetzen an das rechte Donauufer in die Gegend nordwestlich der Stadt vor. 

Als Folge der durchgeführten Operation vernichteten die Einheiten der 2. und 3. Ukrainischen Front die Hauptstreitmächte der deutschen Heeresgruppe „Süd“, vertrieben den Feind vollständig vom Territorium Ungarns, befreiten einen wesentlichen Teil der Tschechoslowakei und die östlichen Gebiete Österreichs mit seiner Hauptstadt. Die Verluste der beiden Fronten betrugen dabei 167.940 Mann, davon 38.661 unwiederbringlich. Für den Mut, das Heldentum und die hohe militärische Kunst, die während der Wiener Operation aufgebracht wurden, wurden 50 Einheiten und Verbände mit der Ehrenbezeichnung „Wiener“ ausgezeichnet. Durch Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 9. Juni 1945 wurde die Medaille „Für die Einnahme Wiens“ geschaffen, mit welcher mehr als 268.000 sowjetische Soldaten ausgezeichnet wurden.



 Sergej Lipatow,

wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts(Militärgeschichte) der Militärakademie des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation